Seit 1991 die einzige deutsch-ungarische Gesellschaft mit Sitz in der deutschen Hauptstadt

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Jahr 2009

 

VORTRAG am 18.05.2009 (Berlin)

Scheiterte ein deutscher 'Kulturexport'? - Beobachtungen zum Ende der während 37 Jahren in Budapest bestehenden deutschsprachigen Sozialeinrichtung "Bethesda" im Jahre 1904

Referentin: Dr. Juliane BRANDT, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS)
Ort: Clubraum, Collegium Hungaricum Berlin, Dorotheenstr. 12, 10117 Berlin-Mitte
Datum: Dienstag, 18.05.2009 um 18.00 Uhr

HINWEIS: Der Vortrag mußte unmittelbar zur festgesetzten Zeit wegen aufgetretener Probleme mit dem Verkehrsmittel (was der Referentin die Erreichbarkeit Berlins nur noch zu später Stunde möglich gemacht hätte) leider abgesagt werden. Die Einführung in den Vortrag wird dennoch abgedruckt, weil sich daraus eine Facette des sozialen Wirkens der deutschen Bevölkerungsgruppe in Budapest kurz nach dessen Bildung durch Eingemeindung von Pest, Buda und Ofen erschließt. Der (ausgefallene) Vortragstermin ist in der Jahresaufstellung der DUG-Vorträge nicht enthalten.

Informationen zur Geschichte der Sozialeinrichtungen Bethesda und Bethanien in Budapest:

Die Entwicklung hin zur Gründung der beiden deutschen Sozialeinrichtungen hat ihre Ursachen in der Zeit nach der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution von 1848/49. Trotz der Restauration der Habsburger Vormachtstellung und der daraus abgeleiteten politischen Unterdrückungsmaßnahmen kam es in Ungarn zu einer vorsichtigen wirtschaftlichen Entwicklung, die an Kraft und Beschleunigung mit dem ungarisch-österreichischen Ausgleich von 1867 gewann und alle Gebiete des öffentlichen Lebens, namentlich auch die Kultur und die Entwicklung einer bürgerlichen Lebensweise, erfaßte.

Die Ausstrahlung, die von dieser "Gründerzeit" ausging, lockte unter anderem Protestanten aus Deutschland, der Schweiz und aus den Niederlanden an, die sich in Ungarn niederließen und es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – nicht zuletzt wegen ihres auf ihrem Glauben fußenden Arbeitsethos – alsbald zu Wohlstand und – ebenfalls wegen ihres glaubensmäßig begründeten sozialen Engagements - zu gesellschaftlichem Einfluß brachten. Aus ihren Kreisen heraus wurde 1859 die erste deutschsprachige evangelisch-reformierte Kirchengemeinde in der damals noch eigenständigen Stadt Pest gegründet. Die diakonische Entwicklung, wie sie das protestantische Westeuropa in jener Zeit erlebte, fand damit Eingang nach Ungarn und wurde der Auslöser dafür, daß die Kirchengemeinde zur Gründung des Krankenhauses "Bethesda" (1866) und des Waisenhauses "Bethania" schritt. Denn die Kirchengemeindemitglieder hielten engen Kontakt zu ihren Herkunftsländern, wurden dadurch mit den dortigen sozialpolitischen Entwicklungen vertraut und orientierten sich daran, zum Beispiel durch Übernahme des Blauen Kreuzes in seiner Schweizer Organisationsform, einer (Selbst-)Hilfeinrichtung für Suchtkranke, und gegen Ende des Jahrhunderts durch Aufbau der Arbeiterwohlfahrt.

1878 und damit sechs Jahre nach der Vereinigung der Städte Buda, Pest und Óbuda (Ofen) zur neuen ungarischen Hauptstadt Budapest ermöglichten die Spenden der wohlhabenden Kirchengemeinde den neugotischen Bau ihres Kirchengebäudes, das – zwischen den bereits kurze Zeit existierenden Bauten "Bethesda" und "Bethania" gelegen – den Komplex in der Hold utca vollendete. Das Gebäude ist bis heute erhalten.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg behielt die reformierte Kirchengemeinde ihre Funktion als Sammel- und Mittelpunkt für die Deutschsprachigen in Budapest, wie sie ebenso die zuvor über die Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen zum Protestantismus im deutschen Kaiserreich (bis hin zum deutschen Kaiser persönlich) und später zum Deutschen Reich pflegte und aufs engste ausbaute. Über bedeutende und einflußreiche Mitglieder der Gemeinde vertieften sich die Beziehungen in das ungarisch-deutsche Wirtschaftsleben und zu den Vertretern der deutschen Diplomatie in Ungarn. Die reformierte Gemeinde war damit ein – auch über Ungarns Landesgrenzen hinaus – gut vernetzter Machtfaktor und ein Zentrum des deutschsprachigen Lebens und der deutschen Kultur; als in der Tradition der Schweizer Protestanten Zwingli und Calvin stehend, war sie zudem ein natürlicher und sinnstiftender Partner für die kalvinistische Kirche Ungarns mit ihrem Zentrum im ostungarischen Debrecen.

Dieser Stellung mag die Kirchengemeinde es verdanken, daß sie vor und in dem Zweiten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit selbst gegenüber dem deutsch-nationalsozialistischen bzw. ungarisch-pfeilkreuzlerischen Einfluß behaupten konnte, ja, sich sogar zum Zufluchtsort für politisch und religiös Verfolgte während der deutschen Besatzungszeit entwickeln konnte. Die Schweizer Querverbindungen wiederum erlaubten es dem Schweizer Konsul Carl Lutz, in seine Rettungs- und Unterbringungsaktionen für Verfolgte des nazistischen Regimes Räume der Gemeinde einzubeziehen, sei es als vorübergehenden Unterschlupf vor der Flucht ins Ausland mit Pässen des Roten Kreuzes, sei es als Überbrückungsmaßnahme vor der Einquartierung in Gebäuden, die Lutz für exterritorial erklärt und damit dem Zugriff der ungarischen Behörden und deutschen (Besatzungs-)Dienststellen entzogen hatte.

Mit der Übernahme der Herrschaft der Kommunisten im Land verlor die Kirchengemeinde ihre herausragende Stellung. Dazu trugen in nicht unerheblichem Maße die Zwangsaussiedlung von 300.000 deutschstämmigen Ungarn und die Flucht vieler der verbleibenden Deutschen bei. Hinzu kam alsbald die fortschreitende Überalterung, die ein Anknüpfen an das vormals unvergleichliche Gemeindeleben oder gar eine Wiederbelebung bestimmender Funktionen in Richtung auf die ungarische Mehrheitsgesellschaft unmöglich machte. Der Systemwechsel des Jahres 1989 führte noch einmal zu einem personellen Verlust durch die legalen Ausreisen. Und es war nicht nur die Ausdünnung der Mitgliederzahl, es war auch das Verschwinden der Mitte des 19. Jahrhunderts eingewanderten Familien und das Fehlen der von ihr alsbald gebildeten, weitgehend wohlhabenden Oberschicht – was sie durch ihre Spenden hatten bewirken können gehörte nun der Geschichte an.

Das wurde auch im Verfall der Bausubstanz der 1953 verstaatlichten Sozial- und Kircheneinrichtungen deutlich, wie nicht zuletzt die staatlicherseits angeordnete zweckentfremdende, jegliche religiöse Reminiszenz bewußt auslöschende Nutzung zu erheblichen Eingriffen in die Gebäudesubstanz führte (so nutzte das staatliche ungarische Fernsehen die Kirchenräume als Lager und Schneiderei). Mit den nach dem Systemwechsel entstehenden sozialen und Bildungsaktivitäten um das Kirchenzentrum herum ("Protestantisches Forum"), die die Nutzung eines wiederhergestellten Kirchenbaus realistisch erscheinen ließen, dann mit der im Jahre 2001 erfolgten rechtsverbindlichen Übertragung des Eigentums an den Gebäuden auf die Kirchengemeinde und mit einer reichen Spendentätigkeit deutscher, Schweizer und ungarischer Unternehmen konnten schließlich ein Um- und Ausbau sowie eine Generalüberholung des Kirchengebäudes in Angriff genommen werden.

Gleiches gilt für die fortbestehende und als Kinderkrankenhaus mit 129 Betten geführte Einrichtung "Bethesda". Nach seiner Gründung durch die Pester Deutsche Reformierte Kirche (1866) leistete der deutsche Diakonissenverein Kaiserswerth entscheidende Aufbauhilfe, die 1904 nach gut 37 Jahren eingestellt wurde; Anlaß waren die Auseinandersetzungen um die Führung des Hauses und die damit von ungarischer Seite erhobenen nationalen Ansprüche, welche sich an der grundsätzlichen missionarischen Idee des Kaiserswerther Mutterhauses brachen. Das Haus wurde danach dem Ungarischen Philadelphischen Diakonie-Mutterhaus übertragen, welches den guten Ruf der Einrichtung mehrte.

Die Diakonissen mußten mit der Verstaatlichung der Einrichtung 1953 das Haus verlassen. Der Besitz wurde 1992 an die Reformierte Kirche zurückübertragen. Sie führt die Einrichtung als komplette Poliklinik für Kinder, in der fast alle wichtigen Fachrichtungen von der Chirurgie bis zur Neurologie vertreten sind und die über eine moderne Intensivstation verfügt.

K.R.

Stand: 24.02.2013

 

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VORTRAG am 13.09.2009 (Berlin)

Ungarns Stellung im Habsburger Reich des 18. Jahrhunderts

Referent: Prof. Dr. László MARJANUCZ, Lehrstuhlinhaber und Universitätsdozent, Abteilung für neue und neuste ungarische Geschichte, Historisches Institut, Fakultät für Philosophie, Universität Szeged
Moderation: Prof. Dr. Günter SCHÖDL, Institut für Geschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Ort:
Vortragsraum 2093a, Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden
Datum/Uhrzeit: Montag, 13.09.2009, 17.00 Uhr

EINFÜHRUNG in den VORTRAG von Prof. Dr. László MARJANUCZ:

Zu seinem Vortrag hat Prof. Dr. Marjanucz einen inhaltlichen Überblick gegeben, der hier im Sinne einer Einleitung um einiges erweitert wird, ist doch Ungarns Stellung im Habsburger Reich des 18. Jahrhundert ohne eine Rückschau auf die letzten Jahrzehnte des vorhergehenden 17. Jahrhunderts nicht zu bestimmen; denn diese Jahrzehnte sind vom Gegensatz des zu großen Teilen von den Osmanen besetzten Ungarns und einer unbesetzten, aber sich der Bedrohung ständig gegenübersehenden und absolutistisch regierten Habsburgischen Monarchie geprägt: 1683 war die letzte und – ebenso wie die vorangegangene – erfolglose Belagerung Wiens durch die osmanischen Heerscharen (Zweite Wiener Türkenbelagerung vom 14. Juli bis 12. September 1683).

Grundlage für das Ende der Belagerung war der Bündnisvertrag von Papst Innozenz als Vermittler, dem Habsburger Kaiser Leopold I. [1640-1705] und Polens König Johann [Jan] III. Sobieski [1629-1696] vom 31. März 1683. Danach sollte Sobieski u. a. den Oberbefehl über die alliierten christlichen Truppenkontingente aus Venedig, Bayern, Sachsen, Franken, Schwaben, Baden, Oberhessen und Polen erhalten. Er verfügte nach 14 Schlachten, davon einem Großteil im Osmanisch-Polnischen Krieg [1672 bis zum Waffenstillstandsabkommen im galizischen Zurawno 1676], nicht nur über einschlägige Kampferfahrung, sondern konnte als Feldmarschall der polnisch-litauischen Republik 1673 derart spektakulär die osmanischen Truppen auf polnischem Boden besiegen, daß ihn das Volk daraufhin im Mai 1674 zum polnischen König wählte.

Der Abzug der Osmanen vor Wien bedeutete das Signal zum Beginn der ungarischen Befreiungskriege unter dem maßgeblichen Befehl und Einsatz der Habsburger Krone (noch im Oktober 1683 Eroberung von Gran/Esztergom, 1684 die von Visegrád, 1686 Befreiung von Buda, 1688 die von Belgrad und Siebenbürgen).

Ergänzend sei hier Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden [1655-1707] erwähnt, Reichsfeldmarschall des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und auf Grund seiner zwanzig Siege in den Großen Türkenkriegen [1683-1699] mit dem Beinamen "Türkenlouis" belegt und nach der Schlacht bei Slankamen 1691 von Kaiser Leopold I. zum Generalleutnant aller kaiserlichen Truppen ernannt. Er wurde abgelöst von seinem Cousin Prinz Eugen (Franz) von Savoyen-Carignan [1663-1736], wie Markgraf Ludwig Mitkämpfer bei der Schlacht der alliierten Entsatzheere am Kahlenberg zur Befreiung des belagerten Wiens 1683. Als der Oberbefehlshaber der habsburgischen Truppen im Kampf gegen die Osmanen auf ungarischem Boden besiegte er am 11. September 1697 vernichtend das osmanische Heer unter Sultan Mustafa II. in der Schlacht bei Zenta [Wojwodina] und nahm anschließend Sarajewo ein, was den osmanischen Gegner zum Friedensschluß von Karlowitz 1699 veranlaßte.

Für die europäische Politik bedeutsam war dabei, daß dieser Friede von Karlowitz die Rolle Österreichs als europäischer Großmacht auf Kosten des Osmanischen Reiches anerkannte. Die Abtretung der zuvor osmanisch besetzt gewesenen Teile Ungarns (mit Ausnahme des Banats) und von Teilen des nördlichen Balkans an die Habsburger (!) entsprach dem oben erwähnten Bündnisvertrag von 1683 (die eroberten walachischen und ukrainischen Gebiete waren Polen zugesagt). Ganz erhellend heißen die folgenden Feldzüge in der österreichischen Geschichtsschreibung "Eroberungskriege". Ungarn in diesem Zusammenhang jedoch als ein territorial wiederherzustellendes, völkerrechtlich eigenständig handelndes Subjekt zu sehen war keinen Gedanken wert, weil es gar nicht den Habsburger Interessen entsprach.

Das wurde nicht zuletzt 1684 deutlich, als Ungarn in die Gründung der Heiligen Liga als eines christlichen Kampfbundes gegen die Osmanen nicht einbezogen wurde und als Ironie der Geschichte diese Liga 1687 ihren größten Erfolg in der Schlacht von Mohács erzielte, jenem Mohács, nahe dem 1526 der ungarische König Ludwig [Lajos] II. den Tod fand und das seitdem gedanklich immer mit der dem ungarischen Königreich von Sultan Suleyman II. zugefügten vernichtenden Niederlage verbunden war, die das Land der osmanischen Besetzung preisgab. Diese Besetzung beendete dann 161 Jahre später die "(2.) Schlacht von Mohács", richtiger die "Schlacht am Berg (Nagy-)Harsány" oder "Schlacht am Berg Szársomlyó" (Szársomlyó-hegyi csata) genannt, weil sie dort und damit etwa 25 Kilometer westlich von Mohács in Richtung Villány stattfand, aber der Schlachtort wegen der Symbolik mit Mohács gleichgesetzt wurde – oder um die mit dem Ortsnamen verbundene Erinnerung an die Niederlage von 1526 zu überlagern, aus der heraus sich später der Mythos der "'nationalen' Katastrophe" (mit dem Beiwort 'national' rückblickend auf das erste Viertel des 16. [!] Jahrhunderts projeziert!) entwickeln sollte.

Wie die Osmanen damals Richtung Norden Ungarn, so eroberte jetzt die Liga Ungarn und die umliegenden Länder Richtung Süden auf dem Balkan. Dabei kamen den kaiserlich-habsburgischen Truppen eine Rebellion im osmanischen Heer und eine Staatskrise im sowieso schon wegen Machtstreitigkeiten krisengeschüttelten Istanbul zupaß. Denn die wiederholten militärischen Niederlagen hatten die osmanischen Soldaten keine Beute machen lassen, die sie benötigten, um ihre Aufwendungen für die Teilnahme am Heerzug kompensieren zu können; zudem wurde der Sold in abgewerteten Münzen bezahlt. Stattdessen fielen die von den Osmanen in Panik zurückgelassenen Wertsachen (militärische Ausrüstung, Waffen, Pferde, die Kriegskasse) dem kaiserlich-habsburgischen Heer als Beute in die Hand (allein der ein Zweitheer anführende bayerische Kurfürst Max Emanuel von Bayern soll für sich zwei Millionen Dukaten erlangt haben). Den glücklosen Oberbefehlshaber der osmanischen Truppen, Großwesir Suleyman Pascha, verfolgten auf seiner Flucht nach Istanbul seine eigenen Janitscharen, die seine Hinrichtung bei Sultan Mehmed IV. erwirkten. Und obwohl das Osmanische Reich unter Mehmed IV. seine größte territoriale Ausdehnung erreicht hatte, schützte ihn (der die zweitlängste Regierungszeit aller Sultane aufwies) sein Ruhm nicht vor den revoltierenden Soldaten. Er wurde noch im selben Jahr entthront und in Edirne im Palastarrest bis zu seinem Tode sechs Jahre später zusammen mit zwei seiner Konkubinen verwahrt.

Die Eroberungen der Habsburger gingen Anfang des 18. Jahrhunderts weiter, zumal die Kosten der überdehnten Territorialgewinne der Osmanen in Asien und in Europa zu einer eine effektive Verteidigung der Erwerbungen hindernden schweren und andauernden Finanzkrise führten: Der Niedergang des Osmanischen Reiches hatte begonnen. Prinz Eugen errang 1716 bei Peterwardein und 1717 bei Belgrad bedeutende Siege. Im Frieden von Passarowitz erreichte 1718 die habsburgische Monarchie ihre größte Ausdehnung auf dem Balkan: Sie gewann Nordserbien (mit Belgrad) und einen Grenzstreifen Bosniens, das Banat von Temesvár (Temeschwar) und die Kleine Walachei. In einem weiteren Türkenkrieg mit Rußland als Verbündetem verlor Österreich im Belgrader Frieden seinen 1718 erzielten Gebietsgewinn. Der von Joseph II. begonnene Krieg von 1788 führte 1791 zum Frieden von Sistowa (Swischtow) und zu nicht mehr als Grenzbereinigungen.

Die Freude über die Siege und den Karlowitzer Friedensschluß währte bei den Ungarn nicht lange: Zu unterschiedlich waren die Vorstellungen über die Gestaltung der Friedenszeit, vor allem die (Wieder-)Begründung eines ungarischen Königreiches. Den – auch finanziellen – Aufwand für die Befreiung und den Wiederaufbau eines besatzungsmäßig geschwächten Ungarns wollte der Kaiser in Wien durch Ausweitung seiner Herrschaft und durch Beschneidung alter ungarischer Vorrechte kompensieren. Dabei mag auch eine Rolle gespielt haben, daß durch die Vertreibung der Osmanen Österreich eine gefestigte Rolle als Großmacht in Europa zugewachsen war: In deren Interesse und mit diesem Machtanspruch galt es, das eigene Umfeld zu gestalten und die Macht klug zu mehren. Denn nach Auffassung der Habsburger war ihnen Ungarn als Kriegsbeute zugefallen (vgl. oben die Abtretung der "ungarischen" Landesteile an Habsburg im Karlowitzer Frieden), und dafür hatten sie viele Opfer, auch einen hohen Blutzoll erbracht. Nach Kriegsrecht aber konnte der Sieger das erworbene Land nach seinem Belieben gestalten.

So mußte die 1687 einberufene ungarische Ständeversammlung das Erbkönigtum der Habsburger bezüglich der ungarischen Krone anerkennen und auf ihr Recht zur freien Königswahl verzichten. Das 1222 unter König Andreas (András) II. in der Goldenen Bulle verbriefte Widerstandsrecht gegen ungesetzliche Maßnahmen des Königs mußte aufgegeben, die Einschränkung protestantischer Glaubensfreiheit im Wege der Re-Katholisierungsbemühungen des Wiener Hofes hingenommen werden.

Das zuvor in einem Vasallenstatus zur Hohen Pforte stehende, aber weitgehend innere Autonomie genießende Fürstentum Siebenbürgen wurde vom Kaiser übernommen (er wurde in Personalunion auch der Fürst von Siebenbürgen und übte die Oberhoheit aus), verlor also durch die Diploma Leopodina seine innere Autonomie und verschlechterte somit sogar seine Lage gegenüber der Osmanenzeit.

Das Ergebnis der Ständeversammlung war also keine geringe Enttäuschung für die "befreiten" Ungarn im allgemeinen; hinzu kam die neue steuerliche Belastung für den Aufbau des Landes (dessen bei weitem größten Anteil jedoch der Wiener Hof für sein "erobertes" Gebiet trug) und im besonderen die größtenteils falsche Hoffnung, die die ungarischen Adligen hegten, sie würden nach Vertreibung der Osmanen den früheren Grundbesitz wiedererlangen. Denn wie sahen diese, wie sah die alte ständische Nation "ihr" Ungarn? Für sie war es ein völlig unabhängiger Staat, der – nach Beendigung der Fremdbesetzung – nun in alter Form wiedererstand und nur nach seiner Verfassung, seinen Gesetzen und den alten Überlieferungen und Bräuchen regiert werden durfte; weshalb wäre Rücksicht auf die staatliche Formation zu nehmen, die nach Habsburger Auffassung über die Klammer der selben Dynastie mit den österreichischen Erblanden zustandegekommen war?

Die gereizte Stimmung brach sich erstmals in einem von Kleinadligen und Hajducken angezettelten Aufstand im Tokajer Gebiet Bahn, als die Weinernten besteuert werden sollten. Sie setzte sich fort in dem Widerstand der westungarischen Protestanten gegen die beginnende Re-Katholisierung, die weniger Glaubensfreiheit ließ, als sie unter den Osmanen geherrscht hatte.

Denn nicht zu übersehen ist, daß die machtpolitischen Auseinandersetzungen jener Zeit längst einen religiösen Inhalt aufwiesen. So war Ungarn nur sieben Jahre nach Martin Luthers Thesenanschlag vom 31. Oktober 1517 an der Schloßkirche zu Wittenberg in solchem Maß von der reformatorischen Bewegung erfaßt; daß sie König Ludwig (Lajos) II. veranlaßte, eine Untersuchung wegen Ketzerei anzuordnen (von der Kurie in Rom wurde gegen Luther bereits 1518 ein Ketzerprozeß angestrengt). Aber der Macht des geschriebenen Wortes – nämlich in deutscher Übersetzung des Neuen Testaments, wie sie als Druck schon seit 1522 in den deutschen Ländern umlief – konnte selbst mit den zwischen 1518 und 1530 in Ungarn bezeugten Verbrennungen der "Ketzerbibel" nicht begegnet werden (im 16. Jahrhundert waren bezeichnenderweise in Ungarn 29 von 30 Druckereien in protestantischer Hand).

Dabei war der Übertritt zum neuen Glauben auch ein Infragestellen der Vormacht der katholischen Habsburger, eine Neubestimmung von ungarischer Identität und – zum Beispiel bei den siebenbürgischen Adligen – mit dem Anspruch verknüpft, die mit der Glaubensfreiheit gewährte ständische Selbstverwaltung ausüben zu können. Verständlicherweise versuchte Matthias II. nach der Krönung zum deutschen Kaiser 1612, den Widerstand der Stände in Siebenbürgen zu brechen und das Fürstentum in eine neue Abhängigkeit von Habsburg zu bringen.

Das Ausspielen der siebenbürgischen Fürsten gegeneinander durch den Wiener Hof ließ 1619 die von Fürst Gábor Bethlen betriebene Belagerung Wiens scheitern, mit der er den protestantischen Aufstand der Böhmen zu Habsburgs Schwächung unterstützen wollte. Ebenso griff 1644 Siebenbürgens Fürst Georg (György) I. Rákóczi unter anderem zu den Waffen, um die evangelische Reformation in seinem Fürstentum gegen Habsburg zu verteidigen. Damit gab er eine Antwort auf die (katholische) Gegenreformation, die trotz Zusicherung der Religionsfreiheit durch Ferdinand II. im Frieden von Nikolsburg (Mikulov/Südmähren) 1621 und im Frieden von Preßburg (Pozsony) 1626 ab 1643 die ersten protestantischen Kirchen wegnehmen ließ.

Die Gegenreformation gewann an Kraft unter Kaiser Karl VI. (1711-1740) und Kaiserin Maria Theresia (1740-1780), die das andauernde Bekenntnis zum Protestantismus als Verbrechen mit Geldstrafen, Zuchthaus, Galeerendienst und Stellungsbau (Ableistung von militärischen Schanzarbeiten und Errichtung feldmäßiger Befestigungsanlagen) ahndeten. Zudem gab es die Einweisung unbotmäßiger Gläubiger in Konversionshäuser (Zuchthäuser zur religiösen Bekehrung), gegebenenfalls mit sich anschließender Transmigration (Deportation), vorzugsweise nach Siebenbürgen (allein aus Kärnten wurden nachgewiesenermaßen 1.031 Personen deportiert; dabei galt für die Summe aller Deportierten, daß ihre Todesrate bei 30 Prozent lag). Hatte sich einst die Reformation hauptsächlich gegen die Priester gewendet und manche von ihnen zu Tode gebracht, so urteilte die Gegenreformation nicht nur die protestantischen Geistlichen ab, sondern richtete jeden, der sich dem katholischen Glauben verweigerte.

Die Verfolgung der Protestanten dauerte im Habsburger Reich rund 150 Jahre und fand ihr Ende erst mit den Toleranzedikten für Ungarn vom 25. Oktober 1781 sowie für Siebenbürgen vom 8. November 1781 – die darin den Protestanten gewährte gesetzlich verbürgte, aber immer noch beschränkte Freiheit wurde im Alltag nur widerwillig beachtet; noch beim Landtag (nach ungarischer Lesart: Reichstag) von 1833 brachten die Protestanten sechzehn große Beschwerden wegen ihrer Unterdrückung durch den katholischen Klerus ein.

In ihrem Streben nach Glaubens- und Bekenntnisfreiheit setzten die Ungarn, mehr noch das siebenbürgische Fürstentum die Hoffnungen auf die antihabsburgischen Kräfte im westlichen Europa. Im Vertrauen auf ihr Erstarken wagte zum Beispiel Gábor Bethlen zweimal, gegen die Habsburger 1623 und 1626 zu Felde zu ziehen, was zu nicht mehr führte als zur Bestätigung der Bestimmungen des Wiener Friedens von 1606, mit dem der anti-habsburgische Aufstand unter dem siebenbürgischen Fürsten Stephan (István) Bocskai in Ungarn von 1605/06 beendet und dafür vom Wiener Hof zugestanden wurde: Bocskais Anerkennung als Fürst von Siebenbürgen, Gewährung der freien Fürstenwahl im Fürstentum sowie die verfassungsrechtliche und konfessionelle Gleichstellung aller Ungarn kalvinistischen oder lutheranischen Glaubens in Ungarn und Siebenbürgen mit den Katholiken.

In der Hoffnung auf eine anti-habsburgische Koalition gab es von siebenbürgischer und ungarischer Seite unter anderem auch informelle und geheime Kontakte zu Preußen (die Außenpolitik nahm für Ungarn der Wiener Hof wahr); zahlreich sind die überkommenen Berichte im Preußischen Geheimen Staatsarchiv mit den Beschwerden der Protestanten über die erduldeten Verfolgungen. Auch Vertreter der Stände suchten den Kontakt zu Preußen – damals wie auch später zum Beispiel im Schlesischen Krieg (1740-1742) als Teilereignis der Österreichischen Erbfolgekriege, mit denen die europäischen Mächte versuchten, Kaiserin Maria Theresia vom Habsburger Thron fernzuhalten, und danach noch im Bayerischen Erfolgekrieg (1778/79). So hoffte man, daß Habsburg in diesen Schwächephasen vielleicht auf das Königreich Ungarn und auf Siebenbürgen verzichten oder man zumindest eine Verbesserung der eigenen Position erreichen könnte. Man ging sogar soweit, daß auf dem Landtag (hier und folgend an Stelle der Habsburger Diktion auch als "Reichstag" gemäß der ungarischen Rechtsauffassung zu lesen) in Preßburg die Meinung vertreten wurde, daß mit dem Tod von König Karl III. ohne einen männlichen Nachkommen Ungarn das Recht der freien Königswahl zurückerlangt habe (denn das Land hatte die Pragmatische Sanktion, mit der für Habsburg die weibliche Thronfolge möglich wurde, für sich und die Nachfolge der ungarischen Könige nicht anerkannt – nach Habsburger Auffassung war eine solche Zustimmung von Seiten Ungarns auch nicht notwendig, da Ungarn kein selbständiges Völkerrechtssubjekt war). Doch gab es für diesen Vorstoß der (protestantischen) ostungarischen Delegierten ebenso wenig eine Landtagsmehrheit wie für ihren Personalvorschlag, man solle Ungarns Königsthron dem preußischen König anbieten.

Da der Wiener Hof deutlich machte, daß die Privilegien der ungarischen Aristokratie durch eine weibliche Habsburger Thronfolge unberührt blieben, war die Mehrheit des Landtages schnell bereit, unter Verzicht auf einen selbst gewählten ungarischen König 1741 Maria Theresia zu unterstützen, und zwar auch militärisch bei der Sicherung der Reichsgrenzen und dann 15 Jahre später im Siebenjährigen Krieg bei dem Versuch der Kaiserin, Schlesien von Preußen zurückzuerobern.

Wenn auch die Inhalte der geheimen Verhandlungen zwischen Ungarn/Siebenbürgen einerseits und den verschiedenen westeuropäischen Mächten, hier: Preußen andererseits noch kaum bekannt sind, so zeigt dieser Überblick, daß es durchaus eine "preußische Frage" in der innerungarischen Politik gab und daß die Aufstände oder im Falle von Siebenbürgen die Feldzüge gegen Habsburg von mehrschichtiger Motivation getragen waren, wozu neben der Beseitigung der Unterdrückung des Landes nach dem Abzug der Osmanen auch die Religionsfreiheit als Speerspitze gegen den für Herrschaftszwecke instrumentalisierten Katholizismus der Habsburger und schließlich auch die Suche nach Verbündeten unter den europäischen Großmächten gehörten. Das gilt auch für die unter dem Begriff "(Rákóczischer) Freiheitskampf" zusammengefaßten Aufstände und Kriege von 1703 bis 1711, in deren Verlauf alle Stände im Kampf untereinander und im Kampf gegen Habsburg oder zu dessen Unterstützung erfaßt wurden, ferner die Leibeigenen um ihre Freiheit ebenso wie Freischärler-Gruppen und die Bewegung der Kurutzen um ihre eigenen Ziele kämpften, und schließlich stände- und die sonstigen Bevölkerungsgruppen übergreifend ein Religionskrieg tobte.

Die Aufständischen trugen dem reichsten Magnaten Ferenc II. Rákóczi, Sohn des von den Osmanen an der Ausübung des siebenbürgischen Fürstenamtes gehinderten Ferenc I. Rákóczi, die Führung des Aufstandes an, was dieser aber zunächst ablehnte, obwohl Ferenc nach Ländereibesitz und Vermögen den Habsburgern sicher ein ebenbürtiger Gegner hätte sein können; zumal er durch die neue Entwicklung besonders betroffen war: Verteidigung der Jahrhunderte alten Privilegien der feudalen Stände gegen den damit unvereinbaren absolutistischen Anspruch der Habsburger und gegen die sich abzeichnenden Aufstände der leibeigenen Bauern. Als Ferenc II. Rákóczi dann 1701 den Aufstand begann (Hauptforderung war das "nationale" und deshalb die Ungarn ständeübergreifend begeisternde Anliegen der Wiederherstellung des selbständigen Fürstentums Siebenbürgen), jedoch sein Hilfeersuchen an den in Erbfeindschaft den Habsburgern verbundenen französischen König Ludwig XIV. entdeckt wurde und er sich der Verurteilung wegen Hochverrats nur durch Flucht entziehen konnte, zeigten sich alsbald die "innerungarischen" Probleme, die den hauptsächlich von Kleinadligen und den Hajducken getragenen Aufstand zum Scheitern verurteilten.

Denn angesichts der erstarkenden Kuruczenbewegung und der Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft fürchtete der ungarische Hoch- und Kirchenadel erst recht um das Überleben des Ständesystems, auch wenn dessen ungeschmälerte Wiederherstellung der ungarische Landtag 1705 in Szécsény ebenso beschlossen hatte wie – in einem Rückgriff auf die Bestimmungen des Wiener Friedens von 1606 – einen unabhängigen ungarischen Staat mit freier Königswahl und außerdem ein selbständiges Fürstentum Siebenbürgen. Abgesehen von den für einen Krieg gegen die Habsburger fehlenden finanziellen Mitteln verminderte das Eigeninteresse derer, die um die Aufhebung der Leibeigenschaft kämpften, ihre Bereitschaft, sich für die Adligen zu schlagen, deren Ziel gerade die Beibehaltung der Leibeigenschaft war (der Beschluß des ungarischen Landtags von 1708, die Leibeigenschaft für alle kriegsteilnehmenden Leibeigenen aufzuheben, kam angesichts der Auflösungserscheinungen der Kampfgruppen nach den vorangegangenen militärischen Niederlagen zu spät).

Aber auch die Front der Adligen war keineswegs einheitlich. Die "Kriegsgewinnler", die sich noch bei den ersten und eigentlich unerwarteten Erfolgen der Aufständischen diesen angeschlossen hatten, sprangen ebenso schnell bei den ersten Niederlagen ab. Das vergrößerte die Gruppe derer, die von Anbeginn an lieber durch Verhandlungen mit dem Kaiser in Wien ihre Privilegien sichern wollten – und der Wiener Hof scheute auch nicht davor zurück, entsprechende großzügige Avancen zu machen (Merke: In Liebesdingen – die es angesichts der zerrütteten Verhältnisse sowieso zwischen beiden Ländern nicht gab – und im Krieg – der nun tatsächlich herrschte – hat ein "Fair play" nichts verloren!).

Dieses Verfolgen der jeweils eigenen, aber (selbst angesichts der ebenso flammenden wie vergeblichen Aufrufe Rákóczis) keinesfalls "nationalen ungarischen" Interessen fiel um so leichter, als Ferenc II. Rákóczi ausschließlich vom Ausland aus den Ablauf der Geschehnisse beeinflussen konnte und sein Stellvertreter, selbst einer friedlichen Regelung mit den Habsburgern zugeneigt, unter Überschreitung der Befugnisse 1711 einen "Vergleich" oder vielleicht besser einen "Interessenausgleich" zwischen dem Wiener Hof sowie den klein- und großadligen ungarischen Ständevertretern schloß. Erstgenannten wurde das seit 1687 bestehende Erbfolgerecht auf dem ungarischen Königsthron bestätigt, Letztgenannten gegen Abgabe des Treueides Amnestie gewährt und die ständische Selbstverwaltung, der ungestörte Besitz der Güter, die persönliche Steuerbefreiung und die Beibehaltung der Leibeigenschaft garantiert. Materiell hatten die besitzenden Stände also weitgehend ihre Rechte aus der Zeit vor der osmanischen Eroberung restituiert. Die feudalistischen Eigeninteressen, die dann allerdings gern als "nationale" Interessen ausgegeben wurden, hatten sich durchgesetzt, wobei es fraglich ist, ob Ungarn in der Lage gewesen wäre, ohne ausländische Hilfe gegen Habsburg bestehen zu können – zumal Rákóczis Freiheitskämpfe für Ungarns Infrastruktur eine schlimmere, zerstörerische Zeit waren, als es die zehnmal länger dauernde Periode der osmanischen Besetzung gewesen war (auch wenn dies rückblickend in Ungarn gerne verwischt wird).

Außerdem schienen Frankreich und Rußland an einer Unterstützung Ungarns allzumal nicht interessiert – doch mußte das machtpolitisch erstarkte Österreich die europäische Großmächtepolitik vorrangig mit ins Kalkül ziehen. Ungarn spielte dabei wegen seiner geographischen Randlage keine Rolle – Habsburgs Gegner würden sich ihm zuwenden, wenn sie den Wiener Hof nadelstichartig ärgern wollten, aber sie konnten damit wegen der räumlichen Entfernung (und der Isoliertheit Ungarns, das wie durch einen Riegel durch die Habsburger Monarchie von Westeuropa abgeschnitten wurde) keine eigenen territorialen Gewinne machen, die ihrem eigenen Kernland, sei es Frankreich, Rußland oder Großbritannien, Machtzuwachs brächten.

Anderseits war die Habsburger Monarchie eine europäische Zentralmacht; sie war mit ihren verschiedenen genealogischen Linien überall in Europa vertreten. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, daß der Wiener Hof erst einmal Ruhe an der "Heimatfront" haben mußte, um sich der Politik der großen europäischen Mächte widmen zu können. Daß dafür der Interessenausgleich mit den Magnaten und den Vertretern der anderen Stände Ungarns benötigt wurde, war für den Wiener Hof das kleinere Übel, war doch die gefundene Lösung im Hinblick auf die absolutistische Herrschaftsausübung für die Habsburger Interessen komfortabel, weil eher mit den materialistischen Interessen der ungarischen Magnaten in Einklang zu bringen. Damit war auch der Weg frei für eine Modernisierung Ungarns im gemeinsamen Interesse Wiens und Budapests, wenn auch manche Reform fast mehr von Wien betrieben wurde als von den in alten Traditionen befangenen ungarischen Adligen (die ebenso wie die Kirchenfürsten in jeder Reform zuerst einmal einen Angriff auf ihre überkommenen Rechte witterten).

Die Reformzeit (ein "Kleiner Vormärz", sozusagen als ein Vorgriff auf die Zeit des ungarischen Vormärz’ ab 1825) leitete aus dem Absolutismus habsburgischer Prägung über in die Zeit des aufgeklärten Absolutismus (1765-1790), eine Zeit weitergehender Reformen, soweit es im Interesse des Wiener Hofes lag, und meistens lag es in dessen Interesse, sogar um die Modernisierungen zu beschleunigen. Bezeichnenderweise war Siebenbürgen unter habsburgischer Oberhoheit reformfreudiger, als es ein weitgehend nur am eigenen Wohlergehen interessierter Adel im ungarischen Kernland zuließ.

Trotz dieser Reformen, die die Stellung der Adligen kaum berührten, hatten sich diese letztlich für die nächsten 137 Jahre (bis zur 1848er Revolution) mit dem Erhalt ihrer Privilegien durchgesetzt. Habsburg hatte (nur) nominell ein Königreich erworben – denn der Habsburger Karl III. versprach noch mit Regierungsantritt 1711, Ungarn nach dessen eigenen Gesetzen zu regieren (Gesetzesartikel X/1791: Als unabhängiges Land darf Ungarn nur nach seinen eigenen Landesgesetzen regiert werden. Erweitert durch Artikel XII/1791: Das Gesetzgebungsrecht steht nur König und Landtag gemeinsam zu). Diese Zusage sollte für die Habsburger doch erst 1848 zur Nagelprobe werden, als König Ferdinand V. unter dem Eindruck der am 13. März in Ungarn ausgebrochenen Revolution nur fünf Tage später dem rechtmäßigen Begehren des in Preßburg/Pozsony (Bratislava) tagenden ungarischen Landtags nachgab und Graf Lajos Batthyány "nach Ungarns eigenen Gesetzen" zum ungarischen Ministerpräsidenten ernannte (vgl. oben Artikel X/1791) und am 11. April 1848 die vom Landtag beschlossene Unabhängigkeit des Königreiches Ungarn mit den dazu ausgearbeiteten Gesetzen bestätigte (vgl. oben Artikel XII/1791) – wie auch immer im übrigen das sich daraus ergebende Verhältnis Ungarns zur Habsburger Monarchie in Zukunft hätte ausgestaltet werden können oder müssen. Und eigentlich war das mutige Ergreifen dieser Chance durch Ungarn (wobei Ferdinand V. nach der Flucht seines Kanzlers Metternich mehr Angst vor den unter seinem Fenster revoltierenden Massen in Wien als vor den sich selbst mobilisierenden Ungarn im fernen Budapest hatte) vorrangig revolutionär hinsichtlich der Radikalität der Zwölf-Punkte-Forderungen, im übrigen aber ein – weil sich völlig im Rahmen der geltenden gesetzlichen Möglichkeiten bewegender und diese ausschöpfender – coup d’état (Staatsstreich).

Daß dann Habsburg noch 1848 diese Regelungen widerrief und unter Franz Joseph I. mit militärischer Gewalt schließlich 1849 die Zusage von 1711 brach, verschaffte ihm, eingekleidet in die wieder rigide absolutistische Herrschaftsform, den staatsrechtlichen Stand, den es bereits seit der Befreiung von Buda 1686 angestrebt und dann 1687 vom Landtag schon einmal zugebilligt bekommen hatte. Die seit dem Jahre 1711 unter dem Druck des (großgrund-)besitzenden Adels nicht gelöste Frage der (leibeigenen) Bauern und das sich allmählich im 19. Jahrhundert entwickelnde Problem der im ungarischen Königreich lebenden ethnischen Minderheiten blieb 1848/49 ungelöst und trug zu der Sprengkraft bei, die letztlich die k.u.k. Monarchie 70 Jahre später endgültig beseitigte.

K. R.

(Stand: 24.02.2013)