Seit 1991 die einzige deutsch-ungarische Gesellschaft mit Sitz in der deutschen Hauptstadt
Post bitte ausschließlich an Postfach 31 11 24, D-10641 BERLIN – E-Mail: info@d-u-g.org – Tel: +49-(0)30-242 45 73
Die Deutsch-Ungarische
Gesellschaft e. V. (DUG) -
eine tragfähige Brücke
zwischen den Völkern!
Wir danken unserem Vizepräsidenten Prof. Dr. János BRENNER für den von ihm zusammengestellten Überblick über eine Reihe von Ausstellungen bis Mitte Februar 2024 in Ungarn
Budapest – gebaut und ungebaut
János Brenner
Die ungarische Hauptstadt hát im letzten Jahr ihr 150-jähriges Bestehen gefeiert – 1873 sind die bis dahin selbständigen Städte Pest, Buda (Ofen) und Obuda (Altofen) unter dem Namen Budapest vereinigt worden, um anschließend ein Wachstum in nahezu amerikanischem Tempo hinzulegen. Ob es Zufall ist oder dem Jubiläum geschuldet, derzeit häufen sich in Budapest Ausstellungen zu Städtebau und Architektur der Hauptstadt.
Vom 18. November 2023 bis zum 18. Februar 2024 zeigt die Ungarische Nationalgalerie unter dem Titel „Budapest – Das erste goldene Zeitalter“
(https://en.mng.hu/exhibitions/budapest-the-first-golden-age/) eine Auswahl von Fotos der Jahre 1903-1912, die als Grundlage von massenhaft vervielfältigten Postkarten sowie als Stereofotos gleichsam als Vorläufer des Kinos gedient haben. Die Fotos stammen aus der ungarischen Sammlung Fortepan und aus der Deutschen Fotothek Dresden. Die über 200 Jahre lang existierende Firma Bruck & Sohn (ansässig in Meißen, Burggasse 1 – der Werbeschriftzug ist noch heute an der Fassade zu sehen) hatte – wie auch über andere Städte – Hunderte von Fotos aus Budapest als Vorlagen für den Druck von Postkarten gemacht.
Dies war bisher in Ungarn weitgehend unbekannt und bot einen der Anlässe zur Ausstellung. Für mich war dies zugleich ein Anlaß, mich ein wenig in Nostalgie zu ergehen: in den Jahren 1974-75 war ich áls studentische Hilfskraft beim legendären Hans Nadler, dem Leiter der Arbeitsstelle Dresden des Instituts für Denkmalpflege tätig – die Arbeitsräume des Instituts waren im ehemaligen Gebäude des Sächsischen Landtags an der Brühlschen Terrasse untergebracht, wo auch die Deutsche Fotothek ihren Sitz hatte. Logischerweise wurde in der denkmalpflegerischen Tagesarbeit reger Gebrauch von den Sammlungen der Fotothek gemacht. Von den Sammlungen der Fotothek über Budapest konnte ich allerdings aus einem guten Grund nichts wissen: Es gab sie zu jener Zeit noch nicht. Die Firma Bruck bestand damals noch und hat sogar den Sozialismus ohne Enteignung überlebt – mangels übernahmewilliger Nachfolger wurde sie 2005 liquidiert und die Eigentümerfamilie übertrug ihre Sammlungen der Deutschen Fotothek.
Besonders interessant sind vergleichende Fotos des damaligen und des heutigen Zustandes einiger markanter Orte der Stadt – so kann man z. B. nachvollziehen, in welchem Umfang die Kaianlagen der Donau trotz der inzwischen errichteten Markthallen noch für das Angebot von Obst und Gemüse genutzt wurden, frisch angelandet aus Lastkähnen. Daß das Stadtbild seit der Gründerzeit überall an ästhetischer Qualität gewonnen habe, kann man aber wohl kaum behaupten.
Die Pester Redoute (Vigádo) zeigt seit dem 16. November 2023 bis zum 11. Februar 2024 die Ausstellung „Das nie dagewesene Budapest“ („Sosemvolt Budápest“, https://vigado.hu/web/en/mainpage/-/event/21102/never-realised-buildings-in-budapest/19247). Derartige Ausstellungen sind natürlich besonders reizvoll, wenn man mit einiger Ortskenntnis die Visionen mit den tatsächlich errichteten Gebäuden vergleichen kann. Diese Ausstellung trägt allerdings eher zu einem erleichterten Durchatmen bei, wie einer meiner Bdkannten nach dem Ausstellungsbesuch äußerte.
In der Tat, auch mit nur minimaler touristischer Ortskenntnis kann man sich darüber freuen, daß z. B. in der Zwischenkriegszeit ein geplantes Luxushotel, das am Gellerthegy, ungefähr in halber Höhe das Bild dieses markanten, stadtbildprägenden Felsens über der Donau zerschnitten hatte, nicht gebaut wurde. Ein gigantischer und ein wenig an das Chrysler Building erinnernder Wolkenkratzer nach einem Entwurf von Hugo Gregersen aus den 1920er Jahren blieb allein schon deswegen ungebaut, weil der Architekt den Entwurf schlicht aus privatem Vergnügen an Architekturphantasien ausgearbeitet hat.
Am gedachten Standort dieses Capriccio – neben dem tatsächlich stehenden Gebäude der damaligen Versicherungsgesellschaft „Anker“ – wurde dann der Sitz des Rats für öffentliche Arbeiten (der obersten Baubehörde für Budapest) mit einer triumphbogenartigen Überbauung einer Straße als Abschluß eines Platzes errichtet.
Diese Anlage erinnert wiederum an das Hamburger Kontorhausquartier, insbesondere den Sprinkenhof. Ein äußerst interessanter Entwurf von Mária Istvánffy aus der Zeit um 1960 galt einem „beweglichen Bahnhof“ auf dem Gelände des Südbahnhofs, der sich in Form und Größe dem gerade aktuellen Bedarf anpassen sollte und ein wenig an eine Molluske erinnert. Der Entwurf zeigt für den Zubringerverkehr nicht nur traditionelle Verkehrsmittel wie Autos und Straßenbahnen, sondern auch Fluggeräte, die wohl nicht anders als Drohnen bezeichnet werden können.
Nicht vergessen werden soll schließlich der wegen Ausfalls der Weltausstellung 1996 ungebaut gebliebene ungarische Pavillon von Gábor Turányi, István Simon und Gábor Zoboki, der – wenn auch im kleinen Format – mit seinen vier Ecktürmen und der zentralen Kuppel verblüffend an den Berliner Reichstag erinnert.
Nur mittelbar auf Budapest bezogen, aber in der dortigen Kunsthalle (Mucsárnok) ausgestellt, zeigt vom 15. Dezember 2023 bis zum 11. Februar 2024 eine Ausstellung über „Orient-Schicksale: ungarische Architekten in Asien“
(https://www.mucsarnok.hu/exhibitions/exhibitions.php?midiCB8rZLPzSoXcuCiRHRZD). International relativ bekannt war bisher schon das Wirken von Lászlo Hudec in der ersten Hälfte des 20. Jh. in Shanghai, dessen Werk in einem Film im Rahmen der Ausstellung gewürdigt wird und das teils bis heute stadtbildprägend ist, wie etwa das 22-geschossige Párk Hotel, das bis in die 1980er Jahre das höchste Gebäude der Stadt war.
In die allgemeine ungarische Wahrnehmung selbst ist bisher wenig eingedrungen, dAß der Stararchitekt des ungarischen Jugendstils, Ödön (Edmund) Lechner (seine Postsparkasse in Budapest ist eine eigenwillige Antwort auf jene von Otto Wagner in Wien), sich stark an indischer Ornamentik orientiert hat, auch wenn er sich stets als Vorkämpfer eines nationalen ungarischen Stils gab. Skizzen von Károly Kos zeigen das Istanbul um 1900 mit unspektakulären, aber sensibel erfaßten Details. Im Gegenzug werden auch aus Asien stammende und in Ungarn tätige Architekten gezeigt.
Und wer danach immer noch genug Energie hat, möge sich die gleichfalls in der
Kunsthalle gezeigten Ausstellungen des Lebenswerks der beiden Malerinnen Judit Reigl (bis zum 28. Januar) und Fráncoise Gilot (bis zum 4. Februar) anschauen. Diese haben zwar unmittelbar wenig mit Architektur zu tun, wenn auch Reigls verstörendes Bild stürzender Menschen durch „9-11“ inspiriert ist und die Fassade des World Trade Centers deutet, und Gilots nordafrikanische Städtebilder gerne einmal mit August Macke verglichen werden können.
Die Veranstaltung zum Thema
"REBELLION IN DER NUSSSCHALE.
(Nicht nur) Groteskes aus Mittelosteuropa"
fand aus Anlaß des Internationalen Übersetzertages, des jeweils am letzten Septembertag von der EU zur Ehre der Übersetzer begangenen Hieronymus-Tages,
am 27. September 2023 um 19.00 Uhr im Collegium Hungaricum Berlin (CHB), Dorotheenstr. 12, 10117 Berlin
statt und hat die Vorstellung neu übersetzter "Minutennovellen" István Örkénys zum Gegenstand. Sie wird gemeinsam von der Weltlesebühne e. V., dem Collegium Hungaricum Berlin und der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft e. V. mit Sitz in Berlin getragen und zusammen mit einem Zuschuß des Deutschen Übersetzerfonds finanziert.
Das von TÜNDE MALOMVÖLGYI übersetzte und bei DANUBE-BOOKS herausgegebene Lesebuch "Rebellion in der Nussschale" (2023, danube books, Ulm) ist ihr übersetzerisches Debüt. Das Buch versammelt bislang noch nicht ins Deutsche übertragene groteske Prosa-Miniaturen, mit denen ISTVÁN ÖRKÉNY (1912-1972) das Genre der grotesken Minutennovellen begründete sowie andere Texte, um die Kehrseite der grotesken Perspektive zu veranschaulichen. Die Übersetzerin TIMEA TANKÓ spricht mit Tünde Malomvölgyi über das Übersetzen von Kurzprosa und Humor, und wie aus einer langjährigen Idee die erste Veröffentlichung wurde.
Im Anschluss an das Gespräch liest der Schauspieler STEPHAN SZÁSZ ab 20.30 Uhr eine Auswahl aus Örkénys Erzählungen, in denen der Autor stets mit nüchternem Blick die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit reflektiert.
Tünde Malomvölgyi (geb. 1990) lebte von klein auf im Dazwischen zweier Sprachen und zweier Länder. Die erste Begegnung mit Örkény in der Schule war prägend. 2012 zog sie aus Ungarn nach Leipzig. Das István Örkény-Lesebuch, ist ihre erste eigenständige Übersetzung.
Timea Tankó (geb. 1978) verbrachte ihre Kindheit in Ungarn und Deutschland und arbeitet seit 2003 als literarische Übersetzerin aus dem Ungarischen (u.a. István Kemény, Andor Endre Gelléri, György Dragomán und Antal Szerb) und Französischen. Für ihre Übersetzung Apropos Casanova von Miklós Szentkuthy wurde sie 2021 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.
Zum Leben des Schriftstellers ISTVÁN ÖRKÉNY
(unter teilweiser Verwendung von Inhalten unter https://de.wikipedia.org/wiki/Istv%C3%A1n_%C3%96rk%C3%A9ny:):
István Örkény wurde am 5. April 1912 in Budapest. dem königlich-ungarischen Teil in der k.u.k. Doppelmonarchie, geboren und starb am 24. Juni 1979 in Budapest, der lustigsten Baracke im Weltreich der kommunistischen UdSSR). Er war ungarischer Schriftsteller und Dramatiker.
Als Sohn eines Apothekers studierte István Örkény angewandte Chemie, wechselte aber zur Pharmazie (Abschluß 1934), unterbrach wegen einiger schwarzer Flecken in seiner Vita das in Budapest begonnene Chemieingenieur-Studium mit Aufenthalten bis 1940 im Ausland (Paris, London) und es gelang ihm - zu seinem Glück oder zu seinem Pech? -, daß er den Beginn des Ersten Weltkrieges im letzten Zug aus Paris nach Budapest unbeschadet erlebte. In Budapest beendete er erfolgreich sein Chemieingenieur-Studium.
Die Fortsetzung seiner mit dem „Ozeantanz“ begonnenen schriftstellerischen Arbeit verhinderte ein Jahr später (1942) seine Abordnung in ein Arbeitsbataillon, mit dem er in russische Kriegsgefangenschaft geriet und man ihn in einem Lager bei Moskau internierte (zu seinen Erlebnissen vgl. sein Buch „Lagervolk“). 1946 kehrte er nach Budapest zurück, wo er seine Schriftstellerkarriere fortsetzte.
Als Jude dem Sozialismus gegenüber kritisch eingestellt, wurde er Mitte der 1950er Jahre mit einem Schreibverbot belegt, konnte aber einige wenige Jahre als Dramaturg arbeiten (in Erinnerung an jene Zeit wurde das Kleine Madách-Theater 2004 nach ihm benannt und heißt seitdem Örkény Színház).
Bei Ausbruch der ungarischen Revolution 1956 kritisierte er den ungarischen Rundfunk mit den Worten: „Wir haben des Tags gelogen, wir haben des Nachts gelogen, wir haben auf jeder Wellenlänge gelogen“. Die Reaktion: Seine Bitte und die anderer Schriftsteller um Gewährung von Asyl in der polnischen Botschaft wurde dort - im sozialistischen Schulterschluß mit den Befehlen der Sowjets - abgelehnt. Sein Versuch, gemeinsam mit fünf Kollegen seine Rolle in der 1956er Revolution gegenüber den Sowjets herunterzuspielen und klein zu reden, scheiterte und trug ihm von 1957 bis 1960 ein neues Schreibverbot ein. Mit Aufhebung des Verbots begann seine schriftstellerische Karriere.
Das bekannteste Werk Örkénys sind seine Minutennovellen (ungarisch Egyperces novellák), die er stilbildend fortentwickelt hat. Mit diesen begründete er eine neue Gattung in der Literatur. Die Minutennovellen entstanden in Örkénys eigenen Worten als Lockerungsübungen während seiner Arbeit an den Romanen. Sie zu lesen dauert höchstens eine Minute, weshalb sie für die heutige moderne und schnellebige Zeit wie geschaffen zu sein scheinen. In seinen Kurzgeschichten schildert Örkény das Alltägliche, das Banale, führt dieses aber regelmäßig ins Absurde.
Gleichzeitig wird der Leser herausgefordert, weiterzudenken, da die Minutennovellen oft mit einem offenen Ende versehen sind, das zum Weiterspinnen der Geschichte anregt.
Während andere Schriftsteller einen in zwanzig Minuten konsumierbaren Text mit der Schilderung der Kleidung, der Frisur und ides Gehabes der Protagonistin verfassen, ohne daß diese Schilderungen die Situation voranbringen, geht es Örkény darum, in wenigen Sekunden Spannung aufzubauen und ebenso schnell eine überraschende Wende herbeizuführen - alles, was der Spannung nicht nutzt, wird weggelassen.
Von Örkénys hinterlassenen Minutennovellen erschienen bisher etwa 400, davon im Jahre 1967 ein erster Teil. Aus seinen Romanen ist es besonders „Das Lagervolk“ und damit seine in eigenen Worten „Soziographie des Kriegsgefangenenlagers“, die er immer wieder aufgreift und die wie ein Fixpunkt seines Lebens erscheinen. Daraus findet er „das Erfahrungsmaterial für seine Minutennovellen“. Sein die Grotesken des 20. Jahrhunderts widerspiegelndes Werk will die Antworten auf das nicht weniger groteskenreiche 19. Jahrhundert geben.
=======================